Jördis Wieck, die wissenschaftliche Mitarbeiterin, in der Ausstellung
Anlässlich des 100. Geburtstags von Enzian Calvados (1925–2016) widmet das Dr.-Carl-Häberlin-Friesen-Museum in Wyk auf Föhr dem außergewöhnlichen Künstler, dessen Leben und Werk untrennbar verbunden sind mit der Insel, ihrer Landschaft und dem Dorf Oldsum, eine umfassende Sonderausstellung. Die Ausstellung »Enzian Calvados – Retrospektive zum 100. Geburtstag« wurde eröffnet von Julia Sophie Kreetz, Kuratorin und stellvertretende Museumsleiterin in Elternzeit, die eine besondere Beziehung hat zum Maler und zu seiner Frau Susi Hackanson-Boskamp.
Die erste Idee zu dieser Ausstellung reicht weit zurück bis ins Jahr 2009. Als Julia Sophie Kreetz, damals noch Abiturientin, von Enzian und seiner Frau Susi eine Einladung zum Tee in ihr Haus in Oldsum erhielt. Anlass war die damalige Schülerausstellung »Zwischen Stille und Sturm« im gerade eröffneten Museum Kunst der Westküste in Alkersum. Mehr als 15 Jahre sind seither vergangen. »Doch die Erinnerung an diesen charismatischen Künstler, der im Alter von 90 Jahren verstarb, blieb«, so die Kuratorin. Und mit ihr der Wunsch, ihm anlässlich seines 100. Geburtstags eine Ausstellung zu widmen, die seinem vielfältigen Schaffen gerecht werde. So wurde die Wiederbegegnung mit Susi Hackanson-Boskamp im Mai 2024, in jenem unverwechselbaren, weiß getünchten Reetdachhaus in Oldsum, der Auftakt zu einer intensiven, inspirierenden Auseinandersetzung mit seinem Nachlass und seiner Biografie
Geboren am 4. März 1925 in Danzig als Ernst Kurt Maria Boskamp, wuchs Enzian Calvados in einer traditionsreichen Pharmazeutenfamilie auf. In Danzig erlebte Enzian den Beginn des Zweiten Weltkriegs mit und seine Erlebnisse der darauffolgenden Jahre prägten ihn zutiefst. 1943 wurde er zur Wehrmacht eingezogen, kämpfte in der Panzertruppe und wurde 1944 schwer verwundet, wodurch er den Rest des Kriegs in einem Lazarett in Österreich verbrachte. Nach der Entlassung im letzten Kriegsjahr floh er mit seinem Bruder nach Schleswig-Holstein, wo er beim Wiederaufbau des elterlichen Unternehmens Pohl-Boskamp mitwirkte.
Nach Kriegsende holte Calvados sein Abitur nach, absolvierte eine kaufmännische Ausbildung und studierte anschließend Chemie, mit kurzen Abstechern in die Medizin. 1959 promovierte er in Karlsruhe und war ab Ende der 1950er Jahre als Betriebsleiter bei der Deutschen Gold- und Silberscheideanstalt (Degussa) tätig. Aufgrund ethischer Differenzen verließ er das Unternehmen – ein Schritt, der auch seine späteren künstlerischen Themen stark beeinflusste.
Bereits während seiner Industrielaufbahn begann Calvados sich der Kunst zu widmen, als eine Reaktion auf das Gefühl des »nicht vollständig Ausgefülltseins«. Mit dem Bruch bei Degussa wird aus Dr. Ernst Boskamp der Berufsmaler Enzian, der sich wenig für die starren Strukturen traditioneller Galerie-Ausstellungen interessierte. Ihn zog es mehr zu spontanen Kunst-Aktionen und unkonventionellen Happenings, die ihm Raum für Kreativität und Ausdruck ließen.
1968 führte es ihn auf Anregung und Einladung eines alten Schulfreunds erstmals auf die Nordseeinsel Föhr, wo er schließlich seinen zweiten Namenszusatz »Calvados« erhielt. Der Anblick der Föhrer Marsch mit ihren faszinierenden Wolkenformationen und der weitläufigen Landschaft ließ den Künstler aus der Großstadt nicht unberührt. Im Jahr 1971 ließ er sich in Oldsum nieder, wo er in »Marys Haus« sein Zuhause fand und von wo aus er ein halbes Jahrhundert lang die Kunstszene auf Föhr prägte.
In »Marys Haus« schuf Enzian Calvados ein vielgestaltiges Œuvre aus expressionistischen Ölgemälden, feinfühligen Aquarellen und detailreichen Druckgrafiken. Besonders bekannt wurde er durch seine farbenprächtigen Blumenbilder – Sonnenblumen, blaue Lupinen und roter Mohn –, deren Rahmen er häufig selbst aus alten Holzbalken Föhrer Bauernhäuser fertigte.
Zentrum seines künstlerischen Schaffens war der von ihm gestaltete Bauerngarten rund um »Marys Haus«, der sich als zentrales Motiv durch viele seiner Werke zieht. Doch seine Kunst ist mehr als reine Naturbeobachtung: Calvados widmete sich auch philosophischen und politischen Fragestellungen, die sich in seinen Werken sowie künstlerischen Interventionen widerspiegeln. Auf seinen Reisen nach Indien, Südfrankreich und Tunesien fand er zusätzliche Impulse. Auch seine medizinisch-naturwissenschaftliche Herkunft blieb ein prägender Aspekt seines vielschichtigen Lebenswerks.
Die Ausstellung, die noch bis zum 31.Oktober zu sehen ist, bietet einen umfassenden Einblick in alle Schaffensphasen des Künstlers und wird begleitet von einem umfangreichen Katalog in der Schriftenreihe des Museums.
Enzian Calvados damals in seinem Atelier