Kai Ehlers und seine neue Ausstellung im MKdW   Foto: Andreas Hansen

Neue Ausstellung im Museum Kunst der Westküste:

Erinnerungen an die legendäre »Tante Herta«

»Oh pardon, sind Sie der Graf von Luxemburg?« trällert es aus der Musikbox. In Dreierreihen drängt sich die Menge vorm Tresen. Man trinkt gezapftes Pils mit wenig Schaum und Tegner Insel-Köm mit einem Spritzer natürlicher Zitrone. Im Hintergrund brodelt Wasser für Teepunsch vor sich hin. Doch plötzlich teilt sich die Menge wie das Meer vor Moses. »Tante Herta« betritt ihre Kneipe. Sofort hat die Chefin den Respekt aller inne. »Verdammte Bengels. Nicht zu laut!«, mahnt sie. »Und Ihr da lasst die Frauen in Ruhe!«. Man weiß, wer nicht pariert und Blödsinn macht, der kann schon mal den nassen Tresenlappen abbekommen.
Kai Ehlers, Dokumentarfilmer aus Berlin und langjähriger Föhr-Freund, fotografierte die Kneipe unmittelbar nach ihrer Schließung. Auch die meisten der etwa 180 Objekte aus der Kneipe, die teilweise kolonialen Ursprungs sind, lichtete er mit der Unterstützung eines Freundes ab. Viele dieser Aufnahmen werden nun im Museum Kunst der Westküste (MKdW) ausgestellt. Nicht als Rekonstruktion, sondern als künstlerische Auseinandersetzung. Mit einer visuellen Technik entstehen Gegenbilder. Der Effekt hat etwas Geisterhaftes, was zu den nicht immer unbelasteten Relikten und auch zur erlebten Tragik passt.
Die neue Ausstellung in Alkersum ist ein Raum zum in Erinnerung schwelgen. Aber sie wirft auch allerhand Fragen auf: Wie hat sich die deutsche Kneipenkultur, aber auch die Handelsschifffahrt verändert? Was macht man grundsätzlich mit Objekten kolonialen Ursprungs? Ehlers fragt sich, ob der imperiale Gedanke »Wir hängen andere an die Wand« nicht eine Form von Exotismus sei? Zweifellos sind die Objekte teilweise nicht unbelastet. Zum Beispiel die Walbarten von der »Olympic Challenger«, auf der in den 1950er Jahren unter dem griechischen Reeder Onassis von deutschen Matrosen rund 22.000 Wale erlegt wurden. In erster Linie sind sie aber ein Stück deutscher Zeitgeschichte.
Es ist eine besondere Welt, diese Seefahrerkneipe »Glaube Liebe Hoffnung«. An den Wänden hängen Reliquien aus der ganzen Welt. Harpunen, Walbarten, afrikanische Holzmasken, ein ausgestopfter Hai. Es ist wie eine Tapete. Eine Schildkröte, ein Antilopengeweih, ein Walzahn mit Scrimshaw-Gravur, ein Schrumpfkopf. Mitgebracht von Seefahrten in aller Herren Länder.

Seit 1875 steuern viele Seeleute »Glaube Liebe Hoffnung« (beziehungsweise »Böttgers Gasthaus«, wie es davor hieß), die Kneipe in der Hafenstraße 28, erstmal an, bevor sie sich dann später, viel später, weiter auf den Weg nach Hause machen. 30 Fässer Bier gehen hier jede Woche über den Tresen. Herta Menden ist hier eine Instanz. Gemeinsam mit ihrer Schwester Inge, mit der sie täglich mittags im weißen Bademantel die Hafenstraße hinunter zum Hafenstrand geht, betreibt sie viele Jahrzehnte diese einzigartige Trankwirtschaft. Herta bedient, Inge zapft. Herta, die bezeichnenderweise an Biike 1920 geboren ist, führt zwar ein resolutes Regiment, doch jeder kann zu ihr auch mit seinen Sorgen kommen. Und wenn es Zeit und Stimmung erlauben, holt sie gern das Schifferklavier raus und spielt.
Jede Zeit ist einmal vorbei. Im August 1998 stirbt Herta, zehn Monate später auch ihre Schwester Inge. Hertas Sohn, Claus-Otto Menden, der vorher sukzessive eingearbeitet worden war, übernimmt. Aber er ist kein Wirt. Er ist ausgebildeter Gymnasiallehrer für Chemie und Sport – doch ohne Lehrauftrag. Für ihn ist es eine Fremdbestimmung. Es passt nicht. Er spielt in der Kneipe eine andere Musik und korrigiert auch mal Gäste, wenn der Tresenschnack grammatikalisch nicht korrekt ist. Am Heiligabend 2010 – dem einzigen Schließtag der Kneipe, weil da früher Geburtstag des Großvaters war – zerreißt etwas in Claus-Otto. Er nimmt Tabletten, ändert sein Testament, lässt Licht und Radio an, die Tür unverschlossen und springt ins von Eisschollen umspülte Meer. Einige sagen an der Seebrücke, die Suchhunde sagen an der Mittelbrücke. Erst Ende März wird sein Leichnam vor Amrum angespült.
Viele der Reliquien sind heute im Friesen-Museum eingelagert. Doch ob russische Matrosenmütze, getrockneter Piranha oder präparierte Schildkröte – eine große Zahl der früheren Exponate ist immer noch im »Glaube Liebe Hoffnung« zu bestaunen, dieser einzigartigen Kneipe, die seit Februar 2015 von Franco di Costanzo weitergeführt wird.

Noch heute gilt: Wenn man einen Föhrer Taxifahrer bittet zu »Tante Herta« zu fahren, weiß dieser nicht nur, wo man hin möchte – mit einem wissenden Schmunzeln auf dem Gesicht wird man dort auch abgeliefert.

Herta Menden (1920 – 1998) und ihre urige Seefahrerkneipe  Fotos: Ausstellung